Zeit des Nationalsozialismus in Heidelberg: Unterschied zwischen den Versionen

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= Chronologische Übersicht =
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;1933
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* '''3. März 1933:''' Der „Pfälzer Bote“ meldet den gescheiterten Versuch der Heidelberger [[SA]], das Kolpinghaus zu stürmen
<!--* '''3. März 1933:''' Der „Pfälzer Bote“ meldet den gescheiterten Versuch der Heidelberger [[SA]], das Kolpinghaus zu stürmen-->
* '''4. März 1933:''' Das Heidelberger Tageblatt meldet die Verhaftung von 20 Funktionären der [[KPD]], darunter die Stadträte [[Franz Böning]] und [[Anton Böhner]]
* '''4. März 1933:''' Das [[Heidelberger Tageblatt]] meldet die Verhaftung von 20 Funktionären der [[KPD]], darunter die Stadträte [[Franz Böning]] und [[Anton Böhner]]
* '''5. März 1933:''' [[Reichstagswahl 1933|Reichstagswahl]]: Wahlbeteiligung in Heidelberg: 91,1%. [[NSDAP]]: 24.781 Stimmen (45,9% gegenüber einem Landesdurchschnitt von 45,4% und einem Reichsdurchschnitt von 43,9%). [[Zentrum]]: 8204 Stimmen. [[SPD]]: 7983 Stimmen. KPD: 5969 Stimmen. [[DNVP]]: 3812 Stimmen. [[DDP]]: 1398 Stimmen. [[CSV]]: 1157 Stimmen. [[DVP]]: 906 Stimmen.
* '''5. März 1933:''' [[Reichstagswahl 1933|Reichstagswahl]]: Wahlbeteiligung in Heidelberg: 91,1%. [[NSDAP]]: 24.781 Stimmen (45,9% gegenüber einem Landesdurchschnitt von 45,4% und einem Reichsdurchschnitt von 43,9%). [[Zentrum]]: 8204 Stimmen. [[SPD]]: 7983 Stimmen. KPD: 5969 Stimmen. [[DNVP]]: 3812 Stimmen. [[DDP]]: 1398 Stimmen. [[CSV]]: 1157 Stimmen. [[DVP]]: 906 Stimmen.
* '''6. März 1933:''' Auf dem [[Rathaus (Heidelberg)|Heidelberger Rathaus]] wird die Hakenkreuzfahne gehißt   
* '''6. März 1933:''' Auf dem [[Rathaus (Heidelberg)|Heidelberger Rathaus]] wird die Hakenkreuzfahne gehißt   
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= Thematische Beschreibung der Ereignisse =
= Thematische Beschreibung der Ereignisse =
Die NSDAP, die in Heidelberg bis zur Weltwirtschaftskrise nur eine Splitterpartei gewesen war, stieß in dieser Stadt angesichts der immer schwierigeren wirtschaftlichen Verhältnisse auf zunehmende Resonanz. Bereits bei den Landtagsahlen vom 27. Oktober 1929 erzielte sie in Heidelberg mit 14,5 Prozent der Stimmen einen überdurchschnittlichen Erfolg (zum Vergleich die benachbarten Wahlkreise: Heidelberg-Land 6,6 %, Mannheim-Stadt 3,6 %, Mannheim-Land 9,0 %). Dieser Erfolg hielt an: bereits drei Jahre vor der Machtergreifung erhielt die NSDAP in Heidelberg bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 30,1 % der Stimmen und war damit zur stärksten Partei in dieser Stadt geworden.  An der rapide steigenden Arbeitslosigkeit allein kann diese Entwicklung nicht gelegen haben, wie die Mannheimer Wahlergebnisse zeigen. Es liegt der Schluss nahe, dass die mittelständischen Strukturen Heidelbergs ursächlich waren.<ref><small>Zahlen nach Reutter, S. 474</small></ref>
Die NSDAP, die in Heidelberg bis zur Weltwirtschaftskrise nur eine Splitterpartei gewesen war, stieß in dieser Stadt angesichts der immer schwierigeren wirtschaftlichen Verhältnisse auf zunehmende Resonanz. Bereits bei den Landtagswahlen vom [[27. Oktober]] [[1929]] erzielte sie in Heidelberg mit 14,5 Prozent der Stimmen einen überdurchschnittlichen Erfolg (zum Vergleich die benachbarten Wahlkreise: Heidelberg-Land 6,6 %, Mannheim-Stadt 3,6 %, Mannheim-Land 9,0 %). Dieser Erfolg hielt an: bereits drei Jahre vor der Machtergreifung erhielt die NSDAP in Heidelberg bei den Reichstagswahlen vom [[14. September]] [[1930]] 30,1 % der Stimmen und war damit zur stärksten Partei in dieser Stadt geworden.  An der rapide steigenden Arbeitslosigkeit allein kann diese Entwicklung nicht gelegen haben, wie die Mannheimer Wahlergebnisse zeigen. Es liegt der Schluss nahe, dass die mittelständischen Strukturen Heidelbergs ursächlich waren.<ref><small>Zahlen nach Reutter, S. 474</small></ref>


== Ausschaltung und Verfolgung der Linken ==
== Ausschaltung und Verfolgung der Linken ==
Der Übergang des Deutschen Reiches von einer zunehmend marode werdenden, von vielen ungeliebten, parlamentarischen Demokratie zur NS-Diktatur kam nicht plötzlich, der Abbau demokratischer Strukturen vollzog sich schon vor 1933 allmählich und wurde durch die Verwerfungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft infolge der Wirtschaftskrise begünstigt. Der vorläufige Hohepunkt dieser Entwicklung war die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am [[30. Januar]] [[1933]], zugleich war dieses Ereignis der Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung. Auch weiterhin erfolgte die von den Nationalsozialisten "Gleichschaltung" genannte Neuformierung  von Staat und Gesellschaft nicht schlagartig, sondern eher kontinuierlich unter dem Mantel der Legalität.
Der Übergang des Deutschen Reiches von einer zunehmend marode werdenden, von vielen ungeliebten, parlamentarischen Demokratie zur NS-Diktatur kam nicht plötzlich, der Abbau demokratischer Strukturen vollzog sich schon vor 1933 allmählich und wurde durch die Verwerfungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft infolge der Wirtschaftskrise begünstigt. Der vorläufige Hohepunkt dieser Entwicklung war die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am [[30. Januar]] [[1933]], zugleich war dieses Ereignis der Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung. Auch weiterhin erfolgte die von den Nationalsozialisten "Gleichschaltung" genannte Neuformierung  von Staat und Gesellschaft nicht schlagartig, sondern eher kontinuierlich unter dem Mantel der Legalität.


Zunächst wandten sich die Nationalsozialisten (im folgenden kurz ''Nazis'') außer gegen die von ihnen als "Juden" ausgegrenzten Menschen gegen ihren Hauptfeind, die Linke. Um deren Entfaltungsmöglichkeiten im Reichstagswahlkampf so weit wie möglich einzudämmen, mussten  die Versammlungsfreiheit und die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden. Hierzu diente zunächst die ''Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes'' vom [[4. Februar]] [[1933]]. Auf der Grundlage dieser Verordnung konnten alle politischen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel verboten werden, die vom Reichsinnenminister oder den zuständigen Polizeibehörden als "unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit" angesehen wurden. Außerdem konnten nun vermehrt Schriften der politischen Gegner beschlagnahmt und verboten werden. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde beispielsweise ein fünftägiges Erscheinungsverbot für die sozialdemokratische [[Volkszeitung (Heidelberg)|Volkszeitung]] und ein auf acht Tage befristetes Verbot für den [[Pfälzer Bote|Pfälzer Boten]] erlassen. Diese Vorgänge eregten jedoch in Heidelberg wenig Aufsehen, es hatte solche Verbote schon zuvor in der Ära Brüning gegeben.
Zunächst wandten sich die Nationalsozialisten (im folgenden kurz ''Nazis'') außer gegen die von ihnen als "Juden" ausgegrenzten Menschen gegen ihren Hauptfeind, die Linke. Um deren Entfaltungsmöglichkeiten im Reichstagswahlkampf so weit wie möglich einzudämmen, mussten  die Versammlungsfreiheit und die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden. Hierzu diente zunächst die ''Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes'' vom [[4. Februar]] [[1933]]. Auf der Grundlage dieser Verordnung konnten alle politischen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel verboten werden, die vom Reichsinnenminister oder den zuständigen Polizeibehörden als "unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit" angesehen wurden. Außerdem konnten nun vermehrt Schriften der politischen Gegner beschlagnahmt und verboten werden. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde beispielsweise ein fünftägiges Erscheinungsverbot für die sozialdemokratische [[Volkszeitung (Heidelberg)|Volkszeitung]] und ein auf acht Tage befristetes Verbot für den [[Pfälzer Bote|Pfälzer Boten]] erlassen. Diese Vorgänge erregten jedoch in Heidelberg wenig Aufsehen, es hatte solche Verbote schon zuvor in der Ära Brüning gegeben.
 
Am [[28. Februar]] [[1933]] erging eine ''Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat''. Das war ein wichtiger Schritt zur Machtergreifung Adolf Hitlers und zur Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats. Für die Verkündigung wurde der Reichstagsbrand in der Nacht zuvor zum Anlass genommen. Die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung wurden damit außer Kraft gesetzt. Der Reichspräsident [[Paul von Hindenburg]] räumte damit sich selbst die Befugnis ein, "zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte ... die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen (zu) treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht ein(zu)schreiten." Damit war die legale Grundlage für die Ausschaltung und Verfolgung politischer Gegner geschaffen. Die Verhängung von "Schutzhaft" war nicht mehr, wie in der Weimarer Republik an die Strafprozessordnung gebunden. In Heidelberg wurden die genannten Verordnungen zunächst nur gegen Kommunisten angewendet. Die [[Heidelberger Neusten Nachrichten]] vom 2. März 1933 meldeten eine Durchsuchungsaktion bei "sechs kommunistischen Führern", das [[Heidelberger Tageblatt]] vom 4. März 1933 die Verhaftung von etwa zwanzig Funktionären der KP, darunter die Stadträte [[Franz Böning]] und [[Anton Böhner]], und Verhängung von Schutzhaft, .<ref><small>Reutter, ''Verfolgung und Widerstand'',S. 482</small></ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
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