Neckarstaustufe
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Letzte Bearbeitung war am 2011-07-14 von Juhn.
Der Entwurf für die meisten Neckarstaustufen und die Schleusen stammt von dem Architekten Paul Bonatz (1877—1956). Daher wird gelegentlich bei den kombinierten Neckarstaustufen und -schleusen auch von den Bonatzschleusen gesprochen. Von 1921 bis 1935 erfolgte der Ausbau des Neckars für Rheinschiffe zur Großschifffahrtsstraße zwischen Mannheim und Heilbronn unter der Leitung von Otto Konz und Otto Hirsch. 1948-1958 folgte der Bau der Staustufen und teilweisen Kanalisierung zwischen Heilbronn und Stuttgart.
Die jeweilige Anlage besteht i. d. R. aus drei beweglichen Wehrverschlüssen, einer Generatorenhalle für ein Wasserkraftwerk (Stromgewinnung) und den erforderlichen Zu- und Abflussmauern und einer zweikammrigen Schleuse, die auf der gegenüberliegenden Flussseite angeordnet wird. In der Nähe befinden sich oft Siedlungshäuser für das Personal.
In hohem Maß haben sich Bonatz und die anderen beteiligten Architekten bemüht, jeder Staustufe mit der gezielten Materialwahl (Sandstein, Muschelkalk, Beton, Backstein) ihr zum Umfeld passendes individuelles Gesicht zu geben. Sie haben die Bauwerke damit in die umgebende Landschaft eingepasst.
Technik
- Stauung und Wehre
Die Wehrverschlüsse sind meist zwischen vier Wehrpfeilern angebracht ( = dreifeldriges Wehr). In den darauf sitzenden vier Windwerkhäusern befinden sich die zweistufigen offenen Stirnradgetriebe (Hersteller G.H.H. - Gutehoffnungshütte), die die Tore nach dem Wasserstand hochwinden oder herablassen. Im Zuge der zweiten Ausbaustufe wurden 1942 die beweglichen Wehrverschlüsse (Rollschütze) mittels Aufsatzklappen auf einem Torsionsrohr montiert und damit um 1,90 Meter erhöht.
Die Windwerkhäuser (nach den Winden zum Öffnen der Tore) sind i. d. R. im obersten Geschoß flussabwärts rundum verglast. Zwischen den Feldern queren U-förmige Brückenriegel für Fußgänger den Fluss. Sie geben neben den Windenhäusern dem Wehr seine typische Optik.
- Schleuse und Schleusung
Die Schleusenkammern haben jeweils eine Nutzlänge von 106 Metern und eine Torbreite von 12 Metern. Sie sind für den Schiffstyp "Großes Rheinschiff" (WP-Artikel) ausgelegt worden. Die direkte Fallhöhe beträgt an den verschiedenen Standorten zwischen 3 und 9 Metern (Differenz zwischen Oberwasser/Unterwasser) . Die Verlängerung der Kammern auf 130 Meter befindet sich zur Zeit in einer (umstrittenen) Planungsphase.
Bei der Schleusung eines bergwärts fahrenden Schiffs sind zunächst die beiden oberen Schleusentore V-förmig geschlossen und liegen am so genannten Drempel (eine Art betonierte Türschwelle) an. Nach der Einfahrt schließen sich die beiden unteren Tore ebenfalls. Durch kleine Umgehungskanäle, die hydraulisch geöffnet werden, fließt vom Oberwasser solange Wasser in die Kammer nach, bis der gleiche Wasserpegel wie im Oberwasser erreicht ist. Dann lassen sich die oberen Tore relativ leicht öffnen, denn nun drückt der Fluss nicht mehr darauf.
Beim Anstieg muss von den Schiffern darauf geachtet werden, dass sie die Befestigungstaue immer wieder etwas weiter oben an den Kammerwänden befestigen, damit das Schiff nicht in der Schleuse hin und her treibt. Das Schiff kann dann oben wieder aus eigener Kraft in den Fluss hinausschwimmen. Im Idealfall wartet oben schon ein Schiff um mit dem Wasser der gefüllten Kammer abwärts geschleust zu werden. Der Wasserverbrauch würde damit optimiert.
- Stromgewinnung
Je zwei Kaplanturbinen sind über senkrechte Wellen mit in der Halle darüber montierten 10kV-Drehstrom-Generatoren gekuppelt und produzieren z. B. 4100 kW elektrischen Strom bei 8,15 m Fallhöhe und einem Wasserstrom von 60 m³/s.
Die 27 Kraftwerke zwischen Plochingen und Mannheim (Mündung in die internationale Schifffahrtsstraße Rhein) erzeugen mit einem Gesamt-Gefälle von 160 Metern ca. 500 Millionen kWh Strom pro Jahr. Vor der Turbine muss das Oberwasser von größeren Fremdkörpern, z. B. Treibholz, gereinigt werden. Dazu ist vor den Turbinen ein großer Rechen angebracht. Wenn größere Fische die Turbine durchschwimmen, werden sie wahrscheinlich so stark veletzt, dass sie sterben.
Im Unterwasser sollten durch die Zuführung des Wassers aus der Turbine keine für die Schifffahrt gefährlichen Verwirbelungen entstehen.
Besonderheiten an den Standorten
- (Weitere Details in den Artikeln über die verschiedenen Schleusenanlagen)
- Die Schleusenanlage Feudenheim (1927) liegt bei Neckarkilometer 6,2. Hier sind die beiden Tore wie Fallgatter in drei Türmen über den beiden Kammern an dem jeweiligen Schleusenende aufgehängt und werden senkrecht bewegt. Der Entwurf dazu stammt nicht von Bonatz. Die Tore haben eine Höhe von 8,9 und Breite von 12 Metern. Im geöffneten Zustand fahren die Schiffe unter den Toren hindurch. Die beiden Walzen des Wehrs haben eine Breite von 45 m und das dritte Segment von 36 m. (Vgl. Abbildungen auf Seite 25—29 bei Maio; Ortsartikel)
- Die Schleusenanlage Schwabenheim (1925) im Verlauf des Neckarseitenkanals liegt bei Neckarkilometer 17,679 ca. 500 m oberhalb vom Schwabenheimer Hof. Die Wehranlage Wieblingen bei Bergheim verhindert den Abfluss des Wassers durch das natürliche Flussbett (Altneckar) und staut das Wasser in den Kanal hinein. Mit Hilfe der Schleuse überwindet die Schifffahrt eine Höhendifferenz von ca. 8,70 m. Die mittlere Schleusungszeit beträgt einschließlich der Ein- und Ausfahrten 15 Minuten. Die Vorhäfen haben eine Länge von 250 bzw. 410 m.
- Heidelberg, Wehr Wieblingen (1925) - in Bergheim bei Neckarkilometer 22,386 staut das Wasser in den Nebenarm, den Kanal, hinein und dient der Stromgewinnung (Generatorenhalle am linken Ufer; vgl. Ortsartikel)). Der Wehrsteg als stark frequentierte innerörtliche Fußgänger- und Radlerverbindung!
- Die obere Neckarstaustufe und Schleusenanlage Heidelberg am Karlstor wurde 1926 - 1929 ohne Wasserkraftwerk und Generatorenhalle gebaut, um das berühmte Stadtbild nicht, bzw. möglichst wenig, zu stören. Dort wurde später am rechten Ufer auf der Neuenheimer Seite im Oberwasser ein Unterwasserkraftwerk nachgerüstet. Die Schleuse Heidelberg und das Wehr mit 3 Walzen von je 40m Breite liegen bei Neckarkilometer 26,138 — unweit, ca. 200 m, oberhalb der Alten Brücke am linken Ufer. Mit der Schiffsschleuse wird ein Höhenunterschied von ca. 2,60 m überwunden. (Vgl. Abbildungen auf Seite 31—35 bei Maio)
- Schleusenanlage Neckargemünd bei Neckarkilometer 30,86 (bei der HD-Orthopädie, außerhalb des Ortssetters) mit 3 Walzen je 33 m Breite. Höhenunterschied von ca. 3,90 m. Die Schleuse befindet sich auch hier auf der linken Neckarseite und das Kraftwerk gegenüber auf der Ziegelhäuser Seite. Dort steht unterhalb auch ein Mehrfamilienhaus für Bedienstete des Schiffahrtsamtes. Am linken Ufer befindet sich direkt oberhalb die S-Bahn-Haltestelle (Vgl. Abbildungen auf Seite 38—43 bei Maio)
- Die Schleusenanlage Neckarsteinach, unterhalb der Festung Dilsberg und am östlichen Ortsrand, befindet sich auf der rechten Neckarseite wie das Kraftwerk. (Vgl. den Ortsartikel)
- Die Schleusenanlage Hirschhorn am östlichen Ortsrand, am Ufer bei Neckarkilometer 47,74, befindet sich auch hier auf der gleichen, der linken, Neckarseite wie das Kraftwerk, das so optisch fast in der Flussmitte steht. Sie ist mit einer Straßenbrücke kombiniert. In der Nähe ist der DB-Bahnhof (S-Bahn). (Vgl. Abbildungen auf Seite 44—48 bei Maio; Ortsartikel)
- Die Schleusenanlage Eberbach-Rockenau, bei Neckarkilometer 61,43, mit 3 Walzen von je 30 m Breite liegt im naturbelassen wirkenden Tal. Die Schleuse befindet sich auch hier auf der linken Neckarseite, jeweils nach einem geraden Neckarabschnitt (großzügige Anlegeflächen). Hier gibt es auch eine Werkstatt für und Lager von Fahrwegsmarkierungen (Bojen). Das Kraftwerk auf der Gegenseite ist rot verklinkert. Häuser einer Arbeitersiedlung. Am Unterwasser liegt, ebenfalls links, eine ehemalige Mannheimer Lungenheilanstalt (jetzt ein Seniorenpflegheim) und einen Kilometer weiter flußab der Ortsteil Eberbach-Rockenau. (Vgl. Abbildungen auf Seite 49—53 bei Maio und den Ortsartikel hier im Wiki)
- Schleusenanlage Guttenbach bei Neckarkilometer 72,22 mit 3 Walzen von je 30 m Breite. Die Schleuse befindet sich hier auf der rechten, das Kraftwerk auf der linken Neckarseite. Bergauf kommt die Schleuse kurz hinter einer engen Rechtskurve. (Vgl. Ortsartikel)
- Schleusenanlage Neckarzimmern bei Neckarkilometer 85,95, auch hier mit drei Walzen je 30m Breite; fertiggestellt 1935 - die zweite Kammer 1959. (Vgl. Abbildungen auf Seite 9, 55—56 bei Maio; Ortsartikel)
Fotos verschiedener Wehre
- HD-Orthopädie/Neckargemünder-Schleuse (Dort weitere Fotos von Stauwehren, Kraftwerken und Staustufen entlang des Neckars.)
- Anlage in Neckarzimmern von oben (Burg Hornberg)
- Fotografie: Paul Bonatz, Neckar-Staustufe in Ladenburg bei Mannheim, 1927-33, © Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, DAM;
- Bilder rund um die Otto-Konz-Brücke mit Bonatz' Neckarstaustufe; Bild 2, Bild 4, Bild 5, Bild 7 u.a.
- Ladenburg bei Mannheim (1927 und 1933, Foto aus der Bauzeit)
Anekdote
Der Dichter Mark Twain (1835-1910) hieß eigentlich Samuel Langhorne Clemens und war einige Jahre Lotse auf dem Mississippi. Daher stammt auch sein Schriftstellerpseudonym, das für "Marke Zwei", eine Angabe der Wassertiefe, steht. Twain berichtet von einer Neckarreise.
Siehe auch
- Neckar, Verlauf, Bedeutung
- Hochwasser
Literatur
- Bücher
- Paul Bonatz: Leben und Bauen. Engelhornverlag Adolf Spemann, Stuttgart, 1950.
- Fernanda de Maio: wasser_werke. Paul Bonatz: Die Neckarstaustufen. Vorwort von Alberto Ferlanga. Verlag Merz + Solitude, Stuttgart, 1999, 2. Aufl. - 2001. 63 S. ISBN 3-929 085-53-4 (bebildert; Sprache: Deutsch, Italienisch; mit ausführlicher Bibliografie)
- Zeitungsartikel
- Christoph Moll: Neckar-Kraftwerk versorgt jetzt 30 000 Menschen mit Strom. In: Rhein-Neckar-Zeitung 84 vom 11. Apr. 2011, S. 8 (zum Wasserkraftwerk mit drei Turbinen am Schwabenheimer Hof)
- Barbara Sambale: Blick auf das Lebenswerk des Baumeisters. Rhein-Neckar-Zeitung vom 26. Feb. 2011, Nr. 47, Kultur S. 4, "Der legendäre … "
- Timo Teufert: 75 Jahre: Frei für große Schiffe. In: Rhein-Neckar-Zeitung vom 3. Aug. 2010, Blick in die Stadtteile Nr. 30, S. 1 (zum Bau der beiden Neckarstaustufen in HD und am Flusslauf)
Weblinks
- Neckarstaustufen und Bonatz-Bauten bedroht! Der Ausbau der 27 Neckarschleusen für 135-Meter-Schiffe und der Umbau der Wehre gefährden ein Kulturdenkmal. Resolution des Schwäbischen Heimatbundes vom Dezember 2009.
- Ausbau zur Großschifffahrtsstraße ab 1921, Absatz aus dem Neckar-Artikel bei Wikipedia